Dienstag, 18. Januar 2011

Inspirationswort des Tages - "Kommunikationsrauschen"

"Ich verstehe dich nicht!" Tita sah den vor ihr stehenden Marc verwirrt an. "Was willst du mir sagen?"
Marc hob zu einer Antwort an, doch statt Worten war nur ein eigentümliches Rauschen zu hören, ein Frequenzsuchendes Adagio, unterbrochen von heiserem Knarzen hier und da. Dabei gestikulierte er, pointierte, unterstrich, begleitete seine Argumente und es war wirklich amüsant, ihm dabei zuzusehen, nur ihn verstehen - das wollte Tita beim besten Willen nicht gelingen.
Je hilfloser sie vor ihm stand, desto mehr redete er sich in Rage. Das Rauschen steigerte sich zu einem Sturm, es knisterte, erste Funken flogen. Die Arme drehten sich wie Windmühlenflügel in ihren Gelenken, er war ein kämpfender Quichotte, und Sancho Pansa war fern.
Irgendwann drehte sie sich um. Sie konnte den Anblick nicht länger ertragen. Sie fragte sich allen Ernstes wem diese Verständnislosigkeit zuzuschreiben war. War er schuld? Kamen tatsächlich nur verzerrte Geräusche aus seinem Mund, ohne Sinn, ohne Hintersinn, ohne Bedeutung. War er ein auditiver Luftverpester, ein Echotyrann erster Klasse gar? Oder hatte sie den Fehler bei sich zu suchen? Vielleicht war ihre Software im Eimer, vielleicht konnte sie ihn deswegen nicht dechiffrieren. Wer weiß, was sie dadurch alles verpasste. Marcs Lärmen verblasste zu einem Hintergrundrauschen. Tita nagte an ihrer Unterlippe. So schnell wollte sie sich nicht geschlagen geben. 48 Mails waren zwischen ihnen beiden hin und hergeflogen, hatten den Äther durchquert und sie einander näher gebracht, so nahe, dass sie sich schließlich hier im Park getroffen hatten. Zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht, ohne Netz, ohne doppelten Boden, dafür aber mitten im Regen. Hier standen sie nun, zwei vom gleichen Schlag wenn man der elektronischen Post glauben durfte - und verstanden sich nicht? Tita wollte das nicht glauben. Auf einen Versuch wollte sie es wenigstens ankommen lassen.
Tita drehte sich wieder zu dem inzwischen verstummten Marc herum. Er sah sie an. Musterte sie eindringlich, eine steile Falte zwischen den Brauen. Sie streckte die Hand danach aus und strich seine Stirn glatt. Dann legte sie ihm den Zeigefinger an die Lippen. Wortlos nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich. Ihre Wohnung war nicht weit entfernt und bald schon schlossen sie den Regen aus. Scheuchten ihn aus den Haaren, den Klamotten, trockneten die Haut des anderen mit den Lippen und trieben die Wärme wieder in die Körper hinein. Dabei blieben sie nicht still, nicht stumm. Tita stieß an Lauten aus, was der Körper ihr diktierte. Dass Marc sie verstand, zeigte er mit Händen, Zähnen und Zunge. Im Gegenzug verstand Tita immer besser, was er in rauen Tönen forderte und sie zeigte ihm das auf mannigfaltige Art.
Als Tita und Marc den hitzigen Zweikampf schließlich salomonisch beschieden - Sieg auf ganzer Linie für beide - drehte sich Tita in marcs Arm herum, sah ihm auf die Nasenspitze, strich mit den Fingerspitzen über seine Lippen. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und sah ihn an.. "Was wolltest du mir eigentlich vorhin sagen?"
Marc zog sie etwas näher an sich. "Nicht so wichtig, Süße."
Tita stutzte kurz. Dann grinste sie, schloß die Augen - und genoß die Stille.
Mit ihm.

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