Mittwoch, 2. Februar 2011

Menschseelen III

Eines neuen Lebens Morgen erwachte jeder von ihnen in seinem eigenen kleinen Universum. Die Füße im Boden verankert, den Kopf im Himmel, waren sie umgeben von ihren herzklaftertiefen Wünschen, die sich wie ein undurchdringlicher Schimmer zwischen sie und die Außenwelt spannten - etwas mehr als eine Armeslänge entfernt, so dass selbst die gestreckten Fingerspitzen nicht an die Wünsche heranreichten.
Da fingen sie an zu träumen. Das taten sie 12 Leben lang.
Nach den Träumen setzten das Sehnen ein. Das schmerzte 120 Leben lang.
Als sie schließlich drohten in dem Leid der Sehnsucht zu ertrinken, mitten in ihrem Universum, das wie eh und je um ihre eigene Mitte kreiste, schlossen sie die Augen und erinnerten sich an die Überreste des Stranges. Ihnen kam der Gedanke, dass sie sich nur an dem nebligen Gewirr fahler Fäden zurückhangeln müssten, um den anderen zu erreichen.
Da fingen sie an zu glauben, jeder von ihnen auf seine Weise. Sie färbten die nächsten tausend Leben mit ihrem Glauben, während sie auf ihren Planeten taten, was getan werden musste. Man schloß sich mit anderen Sehnenden zusammen, die ebenso auf der Suche waren wie sie selber. Man ging Zweckverbindungen ein, focht tausend Kriege, unterhielt Stellvertreterbeziehungen, in denen der eine, der, der auf Armeslänge da sein sollte, mit anderen ersetzt wurde, die gerade vorhanden und einem ähnlicher als der ganze Rest waren.
Doch mit den tausend Leben kam die Gewohnheit daher. Sie mischte sich auf beiden Seiten unter die Sehnenden, ließ Wunschsphären aufblatzen wie überreife Früchte, die schon zu lange im eigenen Saft gärten und hüllte die Nackten und Bloßen im Gegenzug in satter Zufriedenheit ein. Das Sehnen verschwand, die Suche verschwand. Der Strang geriet in Vergessenheit, die Nabelschnur wurde zu einer Legende.
Doch die, die sich ihre eigenen Universen bewahrt hatten, die, die weiterhin daran glaubten, dass es wichtig sei, den Nebelfetzen zu folgen, taten sich zusammen, den Blick zum Himmel gewendet. Sie wussten, dass sie einander wiederfinden würden, dort oben, inmitten des All-Einen.
Hundert Leben später hob ein Schiff ab - von dem einen, wie auch dem anderen Stern. Sie trafen sich in der Mitte, zerschellten in aller Stille, vermengten ihre festen Bestandteile, bevor sie auseinandertrieben.
Sechs Leben lang.
Die Sehnenden schlugen danach die Augen auf, die seit Anbeginn ihres Glaubens geschlossen waren. Vor ihnen, auf Armeslänge entfernt, trieb ihr ebenso waches Gegenstück. Ein Seufzen ging da durch das Nichts, es war als ob es tief Luft holen würde, für den ersten Moment seit seiner Erschaffung. So zog sich das All-Eine zusammen und trieb die Getrennten einander in die Arme.
Ein Leben lang und noch eins länger.


Seitdem trieben sie sporengleich durch das Nichts, prallgefüllte Rekombinationen aus Gedanken, Erfahrungen, Leben, die es vorher nicht gegeben hatte und die jetzt nicht wissen, wohin mit sich selbst. Manchmal, wenn sie den Lauf eines Planeten querten, ließen sie ein Stück von sich dort, impften ihn mit ihrem Geist, bevor sie sich wieder aus seiner Schwere lösten.
So verging ihr letztes Leben.


Fin.


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